Anerkennungskultur revisited

Vortrag auf der Fachtagung „Anerkennungskulturen heute – Vielfalt in der engagierten Stadtgesellschaft“, Berlin, 10.06.2015

Von Dr. Thomas Röbke


Anerkennung ist kein schmückendes Beiwerk, sondern gehört zu den tragenden Säulen der sich um 1800 ausbildenden modernen Gesellschaft. Als Erster, folgt man Axel Hon­neths grundlegender Arbeit über den „Kampf um Anerkennung“, erkannte der junge He­gel die damit verbundene historische Revolution der Werte|4|: Der Mensch der Feu­dal­ge­sell­schaft war Ritter, Fürst, Bauer oder Geistlicher und das sollte er auch sein Leben lang bleiben. Sein eigener Beitrag, den er zu seinem jeweiligen Stand hinzutat, war es, ihm die Ehre zu erweisen. Die Ehre ist gleichsam die hervorragende Ritterlichkeit des Ritters, die fromme Tat des Klerikers, die Gerechtigkeit des Herrschers, die Tüchtigkeit des Bauern und des Handwerkers. Sie entfaltet ihren Glanz in Bezug auf die festgelegte Stellung in der gesellschaftlichen Hierarchie.

Die Moderne lässt diese Schranken der Feudalgesellschaft hinter sich. Das sich ver­stär­ken­de Zusammenspiel von göttlich gewollter Ordnung und Ehre, so behauptet der ka­na­di­sche Philosoph Charles Taylor|5| im Anschluss an Honneth|6| und den Li­te­ra­tur­the­o­re­ti­ker Lionel Trilling|7|, wird in der Moderne durch einen neuen Doppelwert abgelöst: Einerseits verbürgt der Begriff der Würde die allgemeine Gleichbehandlung aller Men­schen, indem er die ständischen Unterschiede einebnet. Andererseits wird die jeweilige Besonderheit der gleichgestellten Individuen durch ihre Authentizität verbürgt, die sie sich selbst verdienen müssen. Das Individuum steht nicht mehr über oder unter den anderen, sondern bezieht durch seinen einzigartigen Charakter und seine Verdienste einen unverwechselbaren Platz auf einem horizontalen gesellschaftlichen Tableau.

Das Individuum ist nicht von Geburt an Individuum, sondern wird es nach Hegel erst als Resultat eines Individuationsprozesses. Die Anerkennung in den Augen der anderen ist es, die seine Besonderheit verbürgt.

Diese enge Beziehung von Authentizität und Anerkennung zeigt sich beispielhaft in der oben erwähnten Seminarabfrage. Man könnte vermuten: Gerade das Bürgerschaftliche Engagement bietet für dieses Wechselspiel eine hervorragende Referenzfläche: Es ge­währt nämlich die Möglichkeit, aus eigenem Antrieb für die Gesellschaft tätig zu werden, also sich deren Anerkennung zu verdienen. Um diese aber wertvoll zu machen, muss hinter der guten Tat auch die persönliche Absicht erkennbar sein. Gut sein allein reicht nicht.

Wer die legitime Instanz ist, die die Anerkennung ausspricht, wird in einer nicht stän­disch, sondern demokratisch organisierten Gesellschaft ebenfalls fragwürdig. Es ist nicht mehr allein die Autorität des Staates oder der Kirche, die die Verdienste würdigen kann – obwohl wir in manchen Anerkennungsritualen noch dieses ständische Erbe antreffen –, sondern das demokratische Gemeinwesen und seine Repräsentanten. Vor allem er­war­tet man den Dank von Mensch zu Mensch. Die „ehrlich gemeinte“ Würdigung des eben­bür­tigen Ehrenamtlichen oder einer hauptamtlichen Kollegin, mit der man täglich zu­sam­men­ar­bei­tet, gilt daher mehr als lieblose Ehrungen, die authentische Gefühle ver­mis­sen lassen. Das Bürgermeister- oder Präsidentenamt reicht nicht aus. Mindestens ebenso wichtig ist, ob die Würdenträger es auch als Menschen ernst meinen.

Offenbar geht es in der Zivilgesellschaft um besondere Formen der Anerkennung. Das wird ex negativo am oben genannten Beispiel des Einsatzes für das kommunale Wahl­recht sichtbar. Honneth unterscheidet dabei die sich ausdifferenzierenden Sphären des modernen Rechtsstaates, der kapitalistischen Wirtschaft, der Familie und Privatheit und schließlich der Zivilgesellschaft.|8| In ihnen existieren unterschiedliche „Währungen“ der Anerkennung: Der monetäre Erfolg (als Geschäftsgewinn oder Gehaltshöhe) im öko­no­mi­schen Sektor; Rechtsgleichheit in Bezug auf den Staat; Liebe in Bezug auf Familie und Partnerschaft; und im zivilgesellschaftlichen Bereich das Band der Zu­sam­men­ge­hö­rig­keit, der sozialen Wertschätzung und Solidarität.

Diese Ordnungen der Anerkennung sind zwar nicht ganz scharf voneinander zu trennen. So kann in der zivilgesellschaftlichen Anerkennung Liebe eine gewisse Rolle spielen, wie es auch manchmal eine monetäre Vergütung tun kann. Aber die Wer­te­ba­sis der Zi­vil­ge­sell­schaft – der Gabe, Barmherzigkeit, Solidarität usw. – verlangt nach besonderen An­er­ken­nungs­for­men, die einerseits Leistungen und Absichten öffentlich machen, aber doch genügend Intimität besitzen, um auch persönliche Zuneigung zum Ausdruck zu bringen.

Diese Ordnungen zu vermischen kann sogar zu einer Abwertung der Anerkennung, ja sogar zu einer Missachtung der eigentlichen Motive und Leistungen führen. Man hat es am Beispiel des kommunalen Wahrechtes gesehen. Hier geht es um die recht­li­che An­er­ken­nung des Staates, die nicht durch noch so warmherzig gesprochene Worte zu ersetzen ist. Auch jemandem das freiwillige Engagement mit Geld zu vergüten, kann gleichsam als Schuss nach hinten losgehen. Ehrenamtliche können sich sogar brüskiert fühlen, wenn man die geschenkte Stunde mit drei oder fünf Euro entgelten möchte.|9|

➟ weiter lesen

|8| Der Kampf um Anerkennung, 148ff., 211. In seiner ersten auf den frü­hen Hegel sich berufenden Fassung der Theorie der Anerkennung erwähnt Hon­neth die ökonomische Dimension der An­er­ken­nung eher am Rande. In seinem dem Begriff der Freiheit gewidmeten Buch Das Recht der Freiheit hat er 2011 den Blick erweitert (88ff.): Gerade der Hegel der Rechtsphilosophie hatte gegenüber dem früheren Hegel der Jenenser Real­phi­lo­so­phie die Bedeutung der Ökonomie erkannt.

|9| Sandel, Michael, 2012 Was man mit Geld nicht kaufen kann. Die mo­ra­li­schen Grenzen des Marktes.

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Instrumente der Anerkennung | Anerkennungskultur revisited – Blick | Aktualisiert: 21.06.2015