Anerkennungskultur revisited

Vortrag auf der Fachtagung „Anerkennungskulturen heute – Vielfalt in der engagierten Stadtgesellschaft“, Berlin, 10.06.2015

Von Dr. Thomas Röbke


Folgt man dem von Honneth und Taylor beschriebenen Doppelwert von Würde und Au­then­ti­zi­tät, dann ergibt sich eine weitere wichtige Unterscheidung:

Bezogen auf den Wert der Würde besteht die Herausforderung darin, ob für bestimmte ge­sell­schaftliche Gruppen Benachteiligungen oder gar Formen der Missachtung vor­lie­gen, die kompensiert werden müssen. Diese können wiederum die unterschiedlichen Ordnungen der Anerkennung berühren: etwa die rechtliche Gleichstellung. Sie spielt aktuell in der Integrationspolitik, zum Beispiel beim Wahlrecht oder der Anerkennung von Berufsabschlüssen, eine prominente Rolle. Die Geschichte des modernen Rechts­staa­tes ist nach Honneth immer eine Geschichte des Kampfes um Anerkennung ge­we­sen, etwa der Arbeiterklasse im 19. oder der Frauen im 20. Jahrhundert, und diese Aus­ein­an­der­set­zun­gen sind nicht zu Ende. Es geht zum zweiten um eine ökonomische Di­men­si­on, etwa der Anerkennung gleicher Arbeit und Qualifikation durch gleiche Be­zah­lung.

Es gibt aber drittens auch eine zivilgesellschaftliche Dimension der Anerkennung, indem der jeweilige kulturelle Beitrag benachteiligter Gruppen für die Gesellschaft ent­spre­chend gewürdigt wird. Insofern definiert die amerikanische Philosophin Amy Gutman Anerkennung als „Achtung vor jenen Handlungsformen, Praktiken, Spielarten von Welt­auf­fas­sung, die bei den Angehörigen benachteiligter Gruppen hohes Ansehen genießen oder mit ihnen eng verbunden sind.“|10|

Überträgt man diese allgemeine Beschreibung des Anerkennungsbegriffs auf das Bür­ger­schaft­li­che Engagement, so könnte man die entsprechende These formulieren:

Die Ausübung Bürgerschaftlichen Engagements sollte Bürgerinnen und Bürgern ohne Rücksicht auf ihre Herkunft, ihre Ressourcenlage oder ihre gesundheitliche Situation grundsätzlich möglich sein. Es gibt ein Bürgerrecht auf Engagement. Hieraus leiten sich bestimmte Fragen einer angemessenen Anerkennungskultur ab:

1. Genießt die Gruppe der Engagierten insgesamt oder besondere Teilgruppen die angemessene gesellschaftliche Wertschätzung oder gibt es immer noch, trotz der vielen öffentlichen Preise und Ehrungen, eine kulturelle Abwertung freiwilligen Engagements?

2. Gibt es spezielle Gruppen, die einen erschwerten Zugang zum „Bürgerrecht auf Engagement“ haben? Bestehen strukturelle Defizite der Anerkennung ihres ge­leis­te­ten Bürgerschaftlichen Engagements oder gesellschaftliche Hürden, die sie vom Engagement abhalten?

Zu 1.

Die Wertschätzung des Bürgerschaftlichen Engagements hat sich in den letzten zehn Jah­ren zweifellos erhöht. Wer sich das Debattenklima der 1990er Jahre in Erinnerung ruft, wird sich an gesellschaftliche Leitwerte kommerziellen Erfolges erinnern, an Wall­street und Gründungsfieber in Silicon Valley, in dem man über Nacht zum Milliardär werden konnte. Nach Börsencrashs am Neuen Markt und Bankenkrise ist man kritischer ge­wor­den. In der öffentlichen Wahrnehmung spielen gemeinschaftliche Werte wieder eine pro­mi­nen­te Rolle. Die Aufwertung des Bürgerschaftlichen Engagements passte nicht nur ins Bild, sondern schien gleichsam Zeugnis davon abzulegen, dass Menschen nicht ego­is­tisch mit ausgefahrenen Ellbogen ihren Vorteil suchen, sondern sich für das Ge­mein­we­sen stark machen. Dennoch ist die Frage, wie tiefgreifend dieser Perspektivwechsel wirklich ist.

Die Begeisterung für ehrenamtliches Engagement hält sich bei etlichen Menschen in Deutschland in Grenzen. 42,7 Prozent der Befragten einer aktuellen Studie der GfK Marktforschung Nürnberg sind sich sicher, dass unentgeltliche Tätigkeiten maßgeblich dazu beitragen, in vielen Bereichen bezahlte Arbeitsplätze abzubauen. Zwei Drittel sind der Ansicht, es sei in erster Linie Aufgabe des Staates, sich um die Umwelt oder Hilfs­be­dürf­ti­ge zu kümmern, und nicht die Aufgabe von Privatpersonen. Vier von zehn finden dabei, dass die Leute, die sich kostenlos bürgerlich oder sozial engagieren, von In­sti­tu­ti­o­nen und vom Staat nur ausgenutzt werden.|11|

|11| Umfrage: Warnung vor negativen Fol­gen. Viele sehen in Ehrenamt auch Jobkiller. ➟ Offenbach Post | op-on­line.de, 01.05.2014

In diesen Einschätzungen erscheint das Bürgerschaftliche Engagement als wohlfeiles Heilmittel für sozialstaatliche Krisen und enger werdende Haushalte. Seine öffentliche Anerkennung leidet unter der Vermutung, es könne sich um ein perfides politisches Spar­programm handeln, auf das Gutgläubige hereinfallen. Das sollten vor allem jene im Auge behalten, die aus sicher lauteren Motiven das freiwillige Engagement für alle mög­li­chen Aufgaben der Daseinsvorsorge in Anspruch nehmen wollen.

Eine zweite Nachdenklichkeit, die auf die besondere Untergruppe Engagierter in Füh­rungs­po­si­tio­nen abzielt: Ist der Ehrbegriff völlig verschwunden oder negativ besetzt, wie Charles Taylor meint? Begriffe wie Ehrenmord scheinen ihm Recht zu geben. Auch das Ehrenwort hat deutlich an Glanz eingebüßt. Ehre scheint ein Überbleibsel aus ver­gan­ge­nen Zeiten.

Dennoch: Offensichtlich ist der Begriff Ehrenamt erst Anfang des 19. Jahrhunderts ent­stan­den, in dem sich die ständische Gesellschaft schon auflöste. In der Tat lebt im Eh­ren­amt die feudale Ehrauffassung weiter und wird zugleich auf eine neue Grundlage ge­stellt: Sie löst sich zwar aus einer vorgegeben ständischen Ordnung, aber im Amt des Schöffen, Kirchenvorstands, Feuerwehrhauptmanns oder Gemeindesrates ist ihr Erbe aufgehoben. Menschen, die in ein Ehrenamt berufen wurden – man konnte sich diesem anfangs nicht entziehen, man musste vorgeschlagen werden und es gehörte zur Bür­ger­pflicht, es anzunehmen – mussten die dazu angemessenen persönlichen Tugenden und den Leumund besitzen, die wiederum durch ihr öffentliches Amt bestätigt und gestärkt wurden. Es entstand also gleichsam ein meritokratischer Kreislauf zwischen Ehre und Amt.

Gesellschaftlich festigte sich im 19. Jahrhundert eine Schicht von ehrenamtlichen Ho­no­ra­tio­ren, die eine hohe gesellschaftliche Anerkennung genossen. Das Ansehen dieser be­son­de­ren Gruppe, die heute – etwa als Vereinsvorstände – die organisatorischen Vor­aus­set­zun­gen eines Großteils der bürgerschaftlichen Aktivitäten garantieren und da­für auch juristisch haftbar sind, hat allerdings dramatisch gelitten. Die Soziologin Ludgera Vogt sagt daher zu Recht: „Die sozialen Ehrenämter generieren oft zu wenig sym­bo­li­sches Kapital.“|12|

Und doch sind diese Ehrenämter für das Funktionieren der Bürgergesellschaft un­ver­zicht­bar. Nach Vogt nehmen sie sogar eine sehr moderne Rolle ein, die in einer ver­netz­ten Welt immer wichtiger wird. Sie werden zu Brückenbauern zwischen ver­schie­de­nen Welten: „Die makrosoziologische Relevanz der Ehrenämter in der modernen Ge­sell­schaft liegt darin, dass sie die Eindimensionalität ausdifferenzierter und pro­fes­sio­nel­ler Handlungsrollen zugunsten…alltagsweltlicher Vernunft und solidarischer Ge­mein­schafts­er­fah­rung zu überwinden vermögen.“|13| In der Alltagswirklichkeit stehen Vorstände freilich unter hohem Rechtfertigungsdruck. Das Vorstandsamt ist nicht mehr attraktiv und begehrenswert, sondern wird gerne wie eine heiße Kartoffel weitergereicht.|14|

Eine größere Wertschätzung dieser wichtigen Funktionen der Zivilgesellschaft zu er­zie­len, wird nicht durch eine Wiederbelebung des Honoratiorenwesens und seiner Eh­rungs­for­men gelingen. Aber zweifellos: Es gibt gerade bei dieser besonderen Gruppe in punc­to Anerkennungskultur Nachholbedarf. Sonst könnte man für die Vorstands­nach­fol­ge bald keine Menschen mehr finden, die sich dadurch gewürdigt fühlen. Projekte wie En­ga­ge­ment braucht Leadership der Robert Bosch Stiftung haben sich dieses Problems an­ge­nommen.

Zu 2.

Gibt es, so war die zweite Frage, besondere gesellschaftliche Gruppen, deren geleistetes Engagement nicht gebührend anerkannt wird oder die durch soziale und kulturelle Schranken vom Engagement abgehalten werden? Hierzu nur einige Hinweise, die zeigen, das in Bezug auf eine verbesserte Anerkennungskultur Handlungsbedarf besteht:

  • Haben Frauen besondere Nachteile, z.B. im Vorstandswesen? Gibt es auch in der Zivilgesellschaft bei Leitungsaufgaben eine „gläserne Decke“? Zahlen aus dem Sportbereich etwa zeigen eine weit unterdurchschnittliche Quote: Nur 10% der Vereinsvorsitzenden sind Frauen. Gleiches gilt im Übrigen auch für Menschen mit Migrationshintergrund, die gemessen an der Mitgliedschaft in den Leitungspositionen von Vereinen deutlich unterrepräsentiert sind.|15|
  • Das Engagement von Menschen mit Migrationshintergrund wird oftmals nicht anerkannt, weil es unseren formalen und wissenschaftlichen Kriterien nicht Genüge tut. Es ist oft informell, wird im erweiterten Kreis der Familie ausgeübt und entspricht damit nicht den Maßstäben, die etwa der Freiwilligensurvey an das Bürgerschaftliche Engagement anlegt. Kultursensible Formen einer derzeit heiß diskutierten Willkommens- und Anerkennungskultur könnten diese geleisteten Beiträge zum Gemeinwesen besser sichtbar machen und zu ihrer gesellschaftlichen Anerkennung beitragen.
  • In der derzeit geführten Debatte um Inklusion von Menschen mit Behinderung spielt deren bessere Unterstützung zur Ausübung eines Engagement keine besonders prominente Rolle, aber sie ist zum Thema geworden, etwa durch ein von Aktion Mensch gefördertes Modellprojekt der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen. Wir wissen noch zu wenig von den Talenten dieser Menschen, weil sie sich durch Hürden der Mobilität oder andere fehlende Hilfestellungen nicht entfalten können.
  • Man könnte diese Aufzählung sicher weiter fortsetzen. Ohne diese Punkte weiter zu vertiefen, ist doch offensichtlich, dass noch ein Nachholbedarf in Bezug auf Anerkennungskultur bestimmter gesellschaftlicher Gruppen besteht.

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    Instrumente der Anerkennung | Anerkennungskultur revisited – Würde | Aktualisiert: 21.06.2015